«Ich bin mein grösster Kritiker»: Was man vom Eishockeyspieler Marco Müller lernen kann

«Ich bin mein grösster Kritiker»: Was man vom Eishockeyspieler Marco Müller lernen kann

Seit dieser Saison ist der Wangner Marco Müller, 28, zurück in seiner Wahlheimat, dem Tessin. Er spricht über den erneuten Wechsel ins Tessin, wieso die mentale Gesundheit im Eishockey eine grosse Rolle spielt und warum er an Karma glaubt.

Mit einem Hauch von Berndeutsch in seiner Stimme wählt Marco Müller seine Worte weise aus. Der 28-jährige Eishockeyspieler kommt ursprünglich aus Wangen bei Olten, hat jedoch in seiner Juniorenzeit viel vom Dialekt des Nachbarkantons übernommen. Von Bern über Ambri, nach Zug ist er nun in Lugano angekommen, wo er nicht nur in Berührung mit einer neuen Sprache kam, sondern viel mehr.

Wie sesshaft fühlen Sie sich hier?

Marco Müller: Das Tessin ist zu meinem Zuhause geworden. Das ist ein Grund gewesen, wieso ich von Zug zurück ins Tessin wollte. Das Leben hier neben dem Eishockey gibt mir viel und ich fühle mich sehr wohl. Mein grosses Umfeld ist eher in Bern, doch dieses im Tessin ist mittlerweile gewachsen. Ich finde es cool, haben wir mit unserem Sport als Beruf die Möglichkeit, im Tessin zu leben. Ich denke nicht, dass man in vielen anderen Berufen mit 23 Jahren in einem Kanton wie dem Tessin leben und seine Leidenschaft als Beruf ausüben kann. Bellinzona ist nicht die grösste Stadt, aber es gefällt mir sehr gut, doch mein Herz gehört immer noch ein bisschen der Stadt Bern.

Sie sind vom Tessin in die Zentralschweiz und wieder zurück ins Tessin gezogen. Was hat das Tessin, was die Zentralschweiz nicht hat?

Schöneres Wetter. Man merkt hier, dass die ganze Mentalität anders als in der Deutschschweiz ist. Meine Tessiner Kollegen nehmen mich auch ab und zu hoch, dass Deutschschweizer ein bisschen anders sind. Aber jetzt, wo ich eine Weile hier bin, hat dies schon etwas.

Marco Müller ist Eishockeyspieler und steht in seiner Ausrüstung auf dem Eis. Das Foto stammt aus der Zeit, als er noch für den HC Ambrì-Piotta stürmte.
Der Stürmer spielte über vier Saisons beim Tessiner Klub HC Ambri-Piotta.

Nennen Sie ein typisches Beispiel für die italienische Mentalität im Alltag.

Hier nehmen Leute die meisten Dinge gar nicht so ernst und genau wie in der Deutschschweiz. Es ist alles lockerer. Am Wochenende hat es hier in Bellinzona einen schönen Markt. Du siehst so viele Leute in der Stadt, die um 12 Uhr bereits ein Weissweinglas in der Hand halten. In der Deutschschweiz habe ich dies noch nicht so oft gesehen. Dort wird man eher kritisch angeschaut. Im Tessin geniesst man das Leben viel mehr. Doch das alles hat nicht nur Vorteile.

Was vermissen Sie an der Deutschschweiz?

Ich bin Fan von vielen Sachen, die in der Deutschschweiz anders gehandelt werden. Als ich hier frisch eingezogen war, war meine Store kaputt. Wenn du in der Deutschschweiz so ein Problem hast, dann geht es maximal eine Woche, bis es geregelt ist. Hier habe ich drei Monate gewartet, bis alles wieder so war, wie es sollte.

Stört Sie das nicht?

Das kann man negativ oder positiv auslegen. Wenn man sich mit dem abgefunden hat und dies lernt zu schätzen, dann regen dich solche Sachen auch nicht auf.

Der Eishockeyspieler Marco Müller kurvt damals beim HC Ambrì-Piotta übers Eis.

Zur Person

Marco Müller

Seit dieser Saison spielt Marco Müller für den HC Lugano. Der 28-Jährige ist professioneller Eishockeyspieler und spielte zuletzt im Meisterteam Zug, in Ambri und kurvte anfänglich in Bern mit den Schlittschuhen herum. Auch spielte der Stürmer bereits einige Partien der Schweizer Nationalmannschaft.

Wie viel Tessiner Mentalität steckt in Ihnen?

Ich bin ein Mix. Logisch habe ich noch den Deutschschweizer in mir, aber ich habe sicher auch viele Sachen von hier unten übernommen.

Unter anderem die Sprache.

Es ist auf freiwilliger Basis von jedem Spieler, eine Sprache zu lernen. Früher habe ich kein Wort Italienisch gesprochen, mittlerweile rede ich fliessend.

Was die Sprache anbelangt, hat dies beim HC Lugano vom englischsprachigen Trainer Chris McSorley zum Italienisch sprechenden Luca Gianinazzi gewechselt. Wie haben Sie den Trainerwechsel erlebt?

Ich war dann verletzt und habe die letzten Spiele unter Chris und die ersten Spiele unter Luca nicht gespielt. Am Samstagmorgen war ich in der Physio und habe mich anschliessend mit Calle Andersson zum Kaffee getroffen. Da war Chris McSorley noch dort und wir haben zusammen gesprochen. Irgendeinmal am Nachmittag habe ich ein Telefon von Hnat Domenichelli erhalten.

Kam die Meldung überraschend?

In erster Linie ist es einfach, dem Trainer die Schuld in die Schuhe zu schieben. Aber ich glaube, bei den Ansprüchen, die man in Lugano hat, und die Resultate, die wir lieferten, war die Differenz zu gross. Logisch war niemand zufrieden, nach den letzten Spielen mit diesen Resultaten.

Der neue Trainer ist lediglich ein Jahr älter als sie.

Es ist lustig, weil wir in den Junioren noch ab und zu gegeneinander gespielt haben. Ich habe ihn deshalb noch als Spieler von der Juniorenzeit im Kopf. Wenn ich ehrlich bin, hätte ich ihn nicht auf dem Radar gehabt. Aber ich muss sagen, dass er einen sehr guten Job macht. Mir gefällt extrem, wie er mit den Spielern arbeitet und wie er die Trainings gestaltet. Du merkst bei ihm eigentlich nicht, dass er so jung ist. Für mich gibt es entweder gute oder weniger gute Trainer, da kommt es auf das Alter nicht drauf an.

Sie erlebten den Trainerwechsel in Lugano, wurden letzte Saison Meister mit Zug und erst kürzlich waren Sie verletzt. Wie verarbeiten Sie solche Ereignisse?

Indem ich probiere, mein Privatleben und das Eishockey zu trennen. Mir geben so viele Sachen im Leben viel Freude. Ich glaube, es ist wichtig, dass du Sachen neben dem Eishockey hast, welche dir die Chance geben, emotionale und mentale Batterien wieder aufzuladen. Es ist viel gewesen, auch mit dem Final. Am Schluss hätte jeder Fehler entscheidend sein können. Das hat sehr viel Kraft gekostet, auch mental. Darum war der Sommer für mich wichtig und ich konnte von dem ganzen Druck loslassen. Das heisst, nicht mehr in diesem Spotlight zu sein, wo man jeden zweiten Tag von Leuten beobachtet wird, die Erwartungen haben.

Im Dress des Meisters EV Zug spielte Marco Müller letzte Saison.
Mit dem EV Zug wurde Müller in der Saison 2021/22 Schweizer Meister.

Wie haben Sie im Sommer Kraft getankt?

Mit meinem Kollegen waren wir in den Bergen oder auf dem See. Wenn ich abschalten möchte, gehe ich in die Berge und geniesse die Aussicht. Dort herrscht andere Luft. lacht. Solche Sachen sind wichtig, dass man beim Saisonstart auch mental und emotional wieder parat ist. Ich glaube, es gibt keinen Spieler, der körperlich eine Eishockeysaison nicht bestehen kann. Das Problem ist das Mentale. Zum Glück war ich bei der Verletzung nicht ewig weg. Doch auch dort sind es Angelegenheiten, die du am Ende vom Tag nicht kontrollieren kannst. Ich will keine Energie verlieren, mit Sachen, die ich nicht kontrollieren kann. Ich will mich auf diese Sachen fokussieren, die in meinen Händen liegen.

Eine Eishockeysaison ist eine Achterbahnfahrt von Niederlagen und Siegen. Wie bewältigen Sie das im Alltag?

Man benötigt genügend Sachen, die einen ablenken. Wenn du jeden Tag ins Stadion gehst, ist es wichtig, dass du diese Freude wieder hast und keine belastenden Sachen nach Hause nimmst. Aber auch, dass du in der Euphorie und in den schönen Momenten nicht zu hoch fliegst. Ich glaube, diese Balance ist sehr wichtig. Vor allem, wenn es einmal nicht so läuft, dass du nicht zu tief runterfällst.

Sind Sie bereits zu hoch oder tief gefallen?

Zu hoch geflogen, glaube ich, eher nicht. Das ist bei mir nicht das Problem, eher das Gegenteil. Ich bin mein grösster Kritiker und bin nie zufrieden mit mir selbst. Deshalb bin ich ein sehr nachdenklicher Mensch und mache mir zu viele Gedanken. Das wurde in den letzten Jahren schon besser.

Als Spieler müssen Sie sich selbst beweisen, aber gleichzeitig dem Team helfen. Wie schaffen Sie den Ausgleich zwischen Teamplayer und Egoist?

Als ich 20 Jahre alt war, hat mir ein schwedischer Kombitrainer etwas Eindrückliches gesagt: «Eishockey ist ein Einzelsport, welcher im Team ausgeführt werde.» Am Ende des Tages kämpft jeder ein Stück weit für sich selbst. Wenn man irgendeinmal nicht mehr gut ist, kann man noch so ein guter Mensch sein, es gibt dir niemand einen Vertrag. Darum ist jeder auch ein Einzelkämpfer. Aber ich glaube, so, wie ich es letztes Jahr erlebt habe, ist jedem bewusst, dass man nur als Team Erfolg haben kann. Du schiesst dir selbst in den Fuss, wenn du zu egoistisch bist. Manchmal ist das ein schwieriger Grad.

Warum?

Wenn es einmal nicht gut läuft, sieht man von gewissen Leuten die wahren Gesichter. Aber das ist überall so, und nicht nur im Sport. Am Ende des Tages sind wir alle nur Menschen.

Eishockeyspieler Marco Müller in Action mit dem HC Lugano.
Seit Sommer 2022 spielt der Wangner beim HC Lugano.

Sind Sie eher Einzelspieler oder Teamplayer?

Auf diese Frage würde jeder sagen, dass er ein Teamplayer ist. Wenn du meine ehemaligen oder auch aktuellen Teamkollegen fragst, dann sagen die, dass ich eher ein Teamspieler bin. Ich bin mir bewusst, dass der Einzelerfolg jedes Spielers über das Team läuft. Es läuft jedem Spieler besser, wenn das Team Erfolg hat. Ich habe genauso Freude, wenn andere Spieler gute Aktionen haben. Jeder ist für sein Glück selbst verantwortlich. Das ist auch im normalen Leben so. Darum sage ich immer: Good things happen to good people. Wenn du ein guter Mensch bist, dann kommt die eine oder andere Situation in deinen Leben wieder zurück. Wie du in den Wald schreist, so kommt es zurück. Das hat mich in meinem bisherigen Leben begleitet.

Sie sprechen von Karma und Manifestieren.

Man muss positiv bleiben und an das Gute glauben, dann wird dieses auch eintreffen. An das glaube ich fest. Für mich ist es in meinem Alltag wichtig, dass ich am Ende des Tages ohne Gewissen in den Spiegel schauen kann. Ich behandle andere so, wie ich auch gerne behandelt werden würde. Und wenn man das nicht macht, dann wird man früher oder später von dem eingeholt. lacht. In erster Linie muss ich sagen, dass ich gute Taten nicht in der Hoffnung mache, dass mir etwas Gutes widerfährt. Hingegen zaubern mir Kleinigkeiten im Tag ein Lächeln ins Gesicht.

Was für Kleinigkeiten beispielsweise?

In letzter Zeit sind meine Geschwister mit ihren Kindern viel zu Besuch gewesen. Bei denen bin ich zweifacher Götti. Mit kleinen Sachen kann man Kinder oder auch andere Menschen glücklich machen. Das finde ich etwas vom Schönsten. An meinem Göttibub habe ich, meiner Meinung nach, ein hässliches Dinosaurier-Plüschtier gekauft und er hat eine riesige Freude daran. Da kommt mein inneres Kind manchmal wieder hervor.

Wann kommt Ihr inneres Kind sonst noch raus?

Mein inneres Kind kommt im Alltag mehr wie genug zum Vorschein. Das vergisst man beim Erwachsenwerden gerne einmal. Doch das habe ich noch lange nicht verloren.

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