
«Es ist ein aussterbendes Geschäft»: Quer durch Basel mit dem Milchmann
Am 1. Juni ist Tag der Milch. Wir haben den Milchmann Christoph Grossenbacher bei seiner täglichen Tour quer durch Basel begleitet. Er spricht über Hindernisse, fehlende Ferien und Milch.
Es gibt ihn noch: den Milchmann. Christoph Grossenbacher aus Riehen ist einer der letzten, die in Basel-Stadt Milch ausliefern. Wer heute Milch kaufen will, geht meist in das nächstliegende Geschäft oder macht einen Abstecher zum Bauernhof auf dem Land. Manche aber bevorzugen die Milchlieferung vom Milchmann, auch am heutigen Tag der Milch.
Im weissen VW-Lieferwagen ertönt ein leises Brummen. «Das ist die Kühlung», sagt Grossenbacher und zeigt auf einen kleinen Bildschirm oberhalb des Armaturenbretts. Der Screen zeigt zwei Grad Celsius an. Nicht etwa in der Fahrerkabine, sondern hinten, dort, wo die Milch gelagert ist.
Die Kühlanlage sei bis vor zwei Monaten noch kaputt gewesen, sagt er. Ersatzteile gab es nur in China. Nun kühlt und brummt die Anlage aber wieder einwandfrei.
250 Liter Milch pro Tag
Seine Tour beginnt in Aesch bei der Miba Milchprodukte AG. Dort belädt er sein Fahrzeug mit Lebensmitteln für zwei Tage. Das seien pro Ladung rund 200 Produkte, sagt er. An einem Tag verteilt er rund 250 Liter Milch. Das heisst, dass er im Durchschnitt pro Tag Ware im Wert von 1400 Franken verkaufe, sagt er und ergänzt: «Ich merke aber, dass die Produkte seit dem letzten Jahr über 30 Prozent teurer wurden.» Dann fährt er los, in Richtung Gellert-Quartier. Auf der Anzeige sind es vier Grad Celsius.
In seinem Lieferwagen hat er einige Milchsorten. Alle stammen aus Frenkendorf. Ob Bio-Vollmilch, Milchdrink oder UHT-Vollmilch, Grossenbacher hat alle in grossen oder kleinen Tetrapacks dabei. Die beliebteste bei seiner Kundschaft sei jedoch die Wiesenmilch.
Auch Joghurt oder Butter dürfen in den Kisten in seinem Wagen nicht fehlen. «Bei mir kann man alles bestellen, was ich liefern kann», sagt er. Der 57-Jährige trinkt am liebsten Bio-Vollmilch. Trotzdem: «Ich bediene mich selten selbst.»
Im Gellert-Quartier angekommen, zeigt er, wie die Milchlieferung funktioniert: Grossenbacher parkiert und geht in Richtung Haus. Dort öffnet er den Milchkasten beim Eingang. Im Milchkasten liegt das Milchbüchlein. Darin hat der Kunde bei den gewünschten Lebensmitteln ein Kreuzchen gemacht.

BIld: Kenneth Nars
Eisige Kälte kommt aus den Türen
Anschliessend geht er zurück zu seinem Lieferwagen und öffnet die Tür. Bei der hinteren Tür holt er ein paar Joghurts heraus. Bei der vorderen die Milch. Sobald er die Türen öffnet, kommt eisige Kälte aus dem hinteren Teil des Fahrzeugs. Dort drin herrschen zurzeit acht Grad.
Auf dem Boden der Ablage in seinem Milchlieferwagen sind die verschiedenen Milchpackungen in blauen Kisten sortiert. Auf einer weiteren Ablagefläche sind Joghurt und Butter. Doch Grossenbacher liefert auch Käse oder Eier. «Ich schaue, dass ich immer regionale Produkte dabei habe», sagt er.
Er nimmt die bestellte Milch aus seinem Wagen. Wenn er sich dabei bückt, kommt sein Kuhgürtel zum Vorschein. Dann geht er zurück zum Haus. Dort legt er die Milch entweder wieder in den Milchkasten oder in einen Korb vor die Haustüre. Manche Kunden haben eine Kühltasche vorbereitet. Da ein neuer Monat anbricht, nimmt er das Milchbüchlein mit, damit er den vergangenen Monat abrechnen kann.

Bild: Kenneth Nars

Bild: Kenneth Nars
Über 14’000 Schritte pro Tag
Weiter geht es nach Riehen. Dort wartet der nächste Kunde auf seine Milch. Die Temperaturanzeige steigt auf zehn Grad. Die Temperatur ist verhältnismässig hoch, weil die Türen länger offengeblieben sind. Das hat einen einfachen Grund. Grossenbacher kann seinen Lieferwagen nicht immer direkt vor der Haustüre parkieren und lässt die Türen offen. Täglich legt der Milchmann über 14’000 Schritte zurück.
Der ausgebildete Landschaftsgärtner liefert seit 14 Jahren täglich Milch. Trotzdem sagt er: «Es ist ein aussterbendes Geschäft.» Der 57-Jährige will bis zu seiner Pension und – wenn es die Gesundheit zulässt – noch darüber hinaus Milch liefern. Denn eine Familie, die das Geschäft übernehmen könnte, hat er nicht.
«Wenn man genügend Kunden hat, kann man auch davon leben», sagt er. Grossenbacher hat 140 Kunden, die er meist zweimal wöchentlich beliefert – zumeist sind es Pensionierte oder Familien, aber auch Kindertagesstätten oder andere Geschäftskunden. Mittlerweile ist die Temperatur wieder gesunken. Rund um die Milchtetrapaks herrschen sechs Grad.
Die Milchbestellungen im Kopf
Einzelne Kundinnen und Kunden bestellen via Website. Der Rest via Milchbüchlein. Die meisten Bestellungen hat er aber trotzdem im Kopf. «Als Milchmann braucht man ein gutes Gedächtnis», sagt Grossenbacher. Manche seiner Kunden hätten auch Extrawünsche. Etwa eine ältere Dame, die beim nächsten Halt in Allschwil auf den Milchmann wartet.
Bereits als Grossenbacher mit seinem Lieferwagen vor dem Haus zu stehen kommt, steht die Frau am Fenster. Sie winkt und nimmt ihre Lieferung persönlich entgegen, hat aber noch einen Wunsch: «Haben Sie mir noch eine Butter?» Der Milchmann zögert nicht lange, geht hinter sein Fahrzeug und holt eine Packung.
Seine Arbeit wird geschätzt. Das zeigt auch die Tour am Mittwochmorgen durch Basel. Doch wenn er einmal nicht zur gewohnten Zeit komme, klingle sein Telefon, sagt er. Denn während der 13 Stunden pro Tag, die er mit seinem Lieferwagen unterwegs ist, kann es manchmal vorkommen, dass er im Stau steckt.

Im Wagen hört er meist Musik. Bei unserem Besuch ist es jedoch, bis auf die Kühlanlage und seine Stimme, still im Fahrzeug. Die Kühlanlage leistet gute Arbeit. Es ist vier Grad.
Eingeklemmten Daumen mit Milch geheilt
Einmal habe er bei einer Lieferung den Daumen in der Türe eingeklemmt. «Ich konnte meinen Daumen nicht ins kalte Wasser halten, da ich keines dabeihatte, dafür half aber die Milch.» Mittlerweile kann er über den Vorfall lachen. In all seinen Jahren als Milchmann hat er eines gelernt: Ruhe bewahren. «Ich könnte mich auf den Strassen immer wieder aufregen, doch das bringt nichts.» Auch müsse er auf sich acht geben. Er leide unter Bluthochdruck. Und habe sein Leben umkrempeln müssen.
Grossenbacher lebt für seinen Job. «Ich konnte mir in den 14 Jahren keine Ferien leisten», sagt er. Einige Tage im Engadin mussten genügen, um Kräfte zu tanken. Das sei nur dank seinen Schwestern möglich gewesen, fügt er an. «Vom Engadin kann ich noch lange zehren.»
Der Milchmann ist von Montag bis Freitag auf Tour. Sie führen ihn nach Bettingen, aufs Bruderholz oder ins tiefste St. Johann. Bei unserem Besuch ist die letzte Station im Neubad-Quartier. Und wieder, ohne ins Milchbüchlein zu blicken, weiss er: Dort wartet eine Kundin auf 24 Becher Erdbeerjoghurt.
Hinweis: Dieser Artikel erschien am 1. Juni 2023 in der bz Basel.