
Verkäuferin mit Raclette-Käse bedroht – warum das Gericht einer Frau noch eine Chance gibt
Eine Aargauerin klaut im Migrolino und rechtfertigt sich vor Gericht. Trotz ihrer psychischen Verfassung und der Vorstrafen gibt es an der Verhandlung eine überraschende Wendung.
Mit Hand- und Fussschellen betrat Sara (alle Namen geändert) den Saal des Bezirksgericht Aarau. Sie wurde von zwei Polizisten begleitet, denn sie sitzt aktuell noch in der Strafanstalt Gmünden im Appenzell. Nun sass sie zur Abwechslung im Gerichtssaal und machte damit einen Ausflug einmal quer durch die Schweiz.
Der Besuch war jedoch nicht freiwillig, denn Sara (38) wurden versuchter räuberischer Diebstahl, Drohung sowie Beschimpfung vorgeworfen. Der Vorfall ereignete sich im November 2021. Ursula ging in den Migrolino Suhr und füllte ihre Einkaufskörbe mit Lebensmitteln, Katzenfutter sowie Zigaretten im Wert von 147.20 Franken. Sie liess die Produkte an der Kasse scannen und packte diese unter anderem in eine rote Tasche mit Schweizerkreuzen. Doch anstatt zu bezahlen, machte sich Ursula aus dem Staub. Die Migrolino-Verkäuferin rannte ihr hinterher und versuchte, sie zum Stillstand zu bringen.
Drohung mit Raclette-Käse
Sara machte Anstalten, sich zu wehren, und griff zu einem Sackmesser. Auf die Frage der Gerichtspräsidentin Karin von der Weid, wieso sie denn ein Sackmesser dabei hatte, sagte sie: «Als Schweizer hat man ein Sackmesser dabei.» Die Verkäuferin liess nicht locker und versuchte weiterhin, die beiden Taschen mit den Produkten zurückzuholen. Daraufhin drohte Sara, sie mit dem Raclette-Käse zu bewerfen.
Ein Buschauffeur beobachtete die theatralische Situation, eilte herbei und half der Verkäuferin, das Deliktsgut sicherzustellen. Dabei ging die rote Tasche mit den Schweizerkreuzen kaputt. «Als die Tasche runtergerissen wurde, wollte ich nur noch prügeln», sagte Sara mit lauter Stimme vor Gericht, offenbar noch immer wütend über den Verlust ihrer Tasche.
Die Verkäuferin und der Chauffeur versuchten immer noch, Sara die Tasche mit den Produkten wegzunehmen. Mit Erfolg. Daraufhin beschimpfte Sara den Buschauffeur als «Hurensohn» und machte sich anschliessend ohne Produkte auf den Weg nach Hause.
«Es sieht furchtbar aus zwischen meinen Beinen»
Den Vorfall rechtfertigt sie so: «Ich wurde immer wieder in der Wohnung beklaut, dann habe ich gedacht, das kann ich auch.» Neben dem Beklauen seien auch ihre Katzen mehrfach misshandelt worden. Ebenfalls habe sie erst kürzlich ein traumatisierendes Erlebnis im Gefängnis gehabt.
«Sara leidet an Borderline und ist paranoid», sagte ihr Verteidiger. Die Beschuldigte habe seit 20 Jahren immer wieder Probleme, sagte er weiter. So griff sie vor zwei Jahren zusammen mit ihrem Partner eine schwangere Frau mit Pfefferspray an. Im November 2020 wurde ihr «Schatz» bei einem Polizeieinsatz getötet und sie drohte daraufhin mit Amok. «Von meinem Schatz bis zu den Katzen und den Kleidern wurde mir alles genommen», sagte sie weinend vor Gericht. Nichtsdestotrotz nehme sie keine Drogen mehr und habe nun einen klaren Kopf.
Motivation von der Gerichtspräsidentin
Dass Sara auch gute Tage hat, machte ihr Verteidiger ebenfalls bekannt. Sie habe ihm einen neuen Garten mit Landschaft geplant und Pläne gezeichnet. «Daraufhin haben wir ein Baugesuch eingereicht, bis das mentale Tief wieder zurück kam», sagte der Verteidiger. Auch im Gefängnis arbeite sie handwerklich und habe sogar die Baggerprüfung. Gerichtspräsidentin Karin von der Weid ermutigte sie: «Sie können das, glauben Sie an sich.»
Während Sara zwischen Tränen und Lachen wechselte, blieb sie bei ihrem letzten Wort deprimiert: «Ich fordere die Todesstrafe!» Die Gerichtspräsidentin berücksichtigte ihre psychische Verfassung und urteilte einiges milder, wie die Staatsanwaltschaft forderte. Anstelle der acht Monate unbedingte Freiheitsstrafe, wurde sie für vier Monate bedingt verurteilt. Dazu kam eine Geldstrafe von 10 Tagessätzen à 30 Franken, statt der geforderten 140 Tagessätzen à 30 Franken. «Ich gebe Ihnen eine letzte Chance. Packen Sie diese und packen Sie ihr Leben», sagte Karin von der Weid und beendete somit die Verhandlung.