Wo Kinderwindeln, Katzensand und Ketchup eins werden: Der Selbstversuch bei der Basler Müllabfuhr

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Basler Müllabfuhr erleben in einem Tag so einiges. Respektlosigkeit, gefährliche Säcke oder heikle Situationen sind bei ihnen Alltag. Unsere Redaktorin packt mit an und zieht ein Fazit.

Mehmet Önal hält sich während der Fahrt auf dem kleinen Trittbrett hinten am Abfallfahrzeug mit beiden Händen geübt an der Haltestange. Bei mir sieht es eher verkrampft aus. Denn gedanklich bin ich schon mehrere Male von diesem Trittbrett gefallen. Mehr als eine Fläche eines A3-Blatts bleibt mir zum Stehen nämlich nicht.

Doch von vorne weg. Der Tag beginnt früh bei der Basler Müllabfuhr beim Kannenfeldpark. Um 6.30 Uhr warten zehn Mitarbeiter bei der Strassburgerallee auf den Einsatzplan. Ich geselle mich in die Männerrunde, ebenfalls in oranger Kleidung, so wie es das Arbeitsgesetz vorschreibt.

Der Teamleiter für die Strassburger Reinigung Osmon Llolluni betritt den Raum. In seinen Händen hält er den Einsatzplan. Eigentlich der gewöhnliche Alltag der Mitarbeitenden der Müllabfuhr. Doch etwas ist anders. Meine Anwesenheit.

Steigender Puls bei der Arbeitseinteilung

Unsere Route startet beim Kannenfeldpark. Das Ziel: den Abfall der Zone H, also der Quartiere Iselin und Gotthelf, einzusammeln. Die Zone H ist eine von insgesamt acht Abfallzonen in der Stadt Basel.

Pro Müllwagen gibt es einen Chauffeur und zwei Lader. In Basel-Stadt arbeiten 50 Personen in der Abfallentsorgung, 150 weitere Personen bei der Stadtreinigung, also etwa solche, die mit Putzmaschinen durch die Stadt fahren. Im Magazin teilt Llolluni die Männer auf die verschiedenen Fahrzeuge auf. Dann sagt er: «Frau Sägesser geht mit Mehmet.» Mein Puls steigt. Ich erhalte ein paar Handschuhe und hoffe, dass meine langen Fingernägel diesen Einsatz überstehen werden.

Draussen instruiert mich der Chauffeur Christian Heimberg bei einem der 12 Basler E-Müllwagen, die seit Ende 2020 im Einsatz sind. «Wichtig ist, dass wir immer Blickkontakt haben», sagt er. Der Wagen ist mit Sensoren und Kameras versehen. Die Kamera oberhalb der Abfallpresse soll den Rückspiegel ersetzen. Auch sonst verfügt das Elektrofahrzeug über viel Technik.

Beim rechten Trittbrett sind alle Knöpfe und Schalter positioniert. Ob Notfallknopf, Abfallpresse oder Container-Heber: Auf der Hinterseite des Abfallwagens ist das Wichtigste vorhanden. Ich erhalte den Platz auf dem linken Trittbrett. Das heisst: keine Knöpfe und mehr Fokus, um mich festzuhalten.

Absteigen darf ich jeweils nur rückwärts, denn gegen links abzusteigen ist zu gefährlich, wie ich an diesem Morgen gleich mehrmals merke. Die Autofahrerinnen und Velofahrer nehmen kaum Rücksicht. Sie überholen uns von beiden Seiten. Dass jemand hupt, wäre nicht verwunderlich.

Was für mich eine einmalige Situation ist, ist bei der Basler Müllabfuhr Alltag. Zu diesem gehören auch das «Bebbi-Segg»-Einsammeln, Container-Leeren und Sperrgut-Abholen.

Ein Gefühl wie bei der Titanic

Der Fahrtwind bläst mir ins Gesicht. Ich fühle mich wie Rose am Deck der berühmten Szene des Filmes «Titanic». Doch zurück in der Wirklichkeit stehe ich auf dem Trittbrett des Kehrrichtfahrzeugs. Dennoch fühlt es sich genauso befreiend an. Einzig meine Angst, dass ich runterfalle, trübt das Freiheitsgefühl ein wenig.

Im Winter sind die Stangen oberhalb des Trittbretts, wo ich mich immer noch verkrampft festhalte, beheizt. Denn auch trotz Handschuhen könne es im Winter kalte Hände geben, sagt Önal neben mir.

Die Handschuhe sollen nicht nur in Wintermonaten für ein bisschen Wärme sorgen, sondern dienen hauptsächlich als Schutz. «Aufpassen vor Spritzen», sagen mir Önal und Heimberg mehrmals an diesem Morgen. Der Teamleiter wird mir später in der Znüni-Pause sagen: «Ja, wir hatten bereits Vorfälle mit Spritzen.»

Ja, wir hatten bereits Vorfälle mit Spritzen.

Osmon Llolluni, Teamleiter für die Strassburger Reinigung

Vorsichtiger Griff aus Angst vor Spritzen

Deshalb greife ich die blauen «Bebbi-Segg» vorsichtig an der weissen Schlaufe. Während ich zwei bis drei Säcke gleichzeitig in das Innere der Presse werfe, sind es bei Önal durchschnittlich fünf. Die Basler Abfallsäcke gibt es in 10, 17, 35 und 60 Liter Grösse. Die kleinsten sind jedoch meist die schwersten. Einige fühlen sich an, als wären sie gefüllt mit Zement.

Önal sammelt die Säcke von der rechte Seite ein, ich von der linken Seite. Wir sind nach einer halben Stunde bereits ein eingespieltes Team. Es ist befriedigend die «Bebbi-Segg» mit voller Wucht in den Müllwagen zu werfen. Es ist Kraft- und Konditionstraining in einem.

Viele Säcke warten bei unserer Tour am Strassenrand, doch längst nicht alle. Einige sind beim Hauseingang, hinter einem Baum oder im hohen Gras versteckt. «Dies erschwert uns die Arbeit», sagt Heimberg. Er fährt von Sack zu Sack und Container zu Container und hat auf seinem Fahrersitz die beste Aussicht. Dennoch sieht er nicht immer alle blauen Säcke.

Ekelgefahr bei der Abfallrinne

Sind einmal genug Säcke in der Ablagefläche kommt die Presse zum Zug. Mit einem Knopfdruck presst sie die Säcke zusammen und staut sie ins Innere des Wagens. Es knackt und klirrt. Bei einigen Säcken läuft Flüssigkeit an der Abfallpresse hinunter.

Önal empfiehlt mir: «Steh nicht davor, jemand hatte auch schon Ketchup im Gesicht.» Ketchup wäre mir beim Anblick an die schwimmende Sauce noch am liebsten. In der Abfallrinne mischen sich alle Flüssigkeiten zu einer grauen Lösung zusammen, und es schwimmen ein paar einzelne Reiskörner umher. Ein Sack voll Brot saugt die Flüssigkeit auf.

Kinderwindeln, Katzensand und Essensresten werden eins. Allmählich macht sich der markante Geruch bemerkbar. Es stinkt. Dennoch habe ich es schlimmer erwartet.

Vogelkäfig und Bürostuhl sind dabei

Zwischen den Säcken kommt mal wieder ein Container an die Reihe. Für diese müssen zwischen den beiden Trittbrettern zwei Metallhalter herausgeklappt werden. Anschliessend muss der Container mittig zwischen den beiden Metallhaltern positioniert werden.

Danach erledigt ein Knopfdruck den Rest. Der Container wird in die Luft befördert, gekippt und dann wieder zurückgefahren. Auf unserer Tour leeren wir rund 20 solcher Container. Auch ein Vogelkäfig oder ein Bürostuhl mit Sperrgutmarke sind dabei.

Nach zwei Stunden ist der Abfallwagen voll. Nun heisst es: nächster Halt Kehrichtverbrennungsanlage (KVA). Unweit von der französischen Grenze bei der KVA angekommen, wird das Fahrzeug zuerst gewogen und rückwärts in Position parkiert. Ein Blick hinter den Müllwagen zeigt, dass es mehrere Meter hinunter geht. Nachdem die Barriere nach oben gegangen ist, kippt der Chauffeur den hinteren Teil nach unten. Önal und ich beobachten mit Schutzbrille, wie Hunderte «Bebbi-Segg» ins Müllparadies fliegen.

Pro Tag entsorgt die Basler Kehrichtabfuhr 200 Tonnen Abfall. Im Jahr sind es inklusive mit Riehen und Bettingen 30’000 Tonnen Hausmüll. Dazu kommen weitere 11’000 Tonnen Papier und Karton sowie etwa 6000 Tonnen Glas. Wie viele Kilo Abfall ich an diesem Morgen transportiert habe, weiss ich nicht. Mein mehrtägiger Muskelkater danach bestätigt jedoch, dass es einige Kilos waren. Auch meine Fingernägel bleiben mir nach dem Einsatz erhalten.

Was mir hauptsächlich bleibt, ist die beeindruckende und harte Arbeit, die die Frauen und Männer bei der Basler Müllabfuhr täglich leisten. Auch wenn sie im Alltag auf der Strasse wenig respektiert werden. Am meisten froh bin ich jedoch, dass ich kein einziges Mal vom Trittbrett gefallen bin.


Hinweis: Dieser Artikel erschien am 17. Juni 2023 in der bz Basel.

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